Bist du Christ?
Aktualisiert: 9. Sept 2020
Bist du Christ? Du bist offener und aufgeschlossener als deine Landsleute!
Du bist aber sicher kein strenger Muslim, daher kommst du mit der österreichischen
Mentalität zurecht.
Was ist dein Geheimnis, so gut integriert in Österreich zu sein?

All diese und andere Fragen und Aussagen bekomme ich oft bei meinen Auftritten zu hören.
Dabei fühle ich mich selbst nicht gut integriert. Woran denn?
Ich kann für mich selbst nicht definieren, was diese sogenannte Integration ist?
Ich weiß nur, dass Flucht oder Migration oft bedeutet, dass du auf den Startpunkt des Lebens
zurückgeworfen wirst. Und das ohne die Fürsorge deiner Eltern und die vertraute Umgebung!
Natürlich war mir all dies auf der Flucht und bei meiner Ankunft nicht bewusst.
Ich wollte einfach so weit es geht, von dem Wahnsinn in Syrien wegkommen und in einem
Land leben, in dem ich als Mensch respektiert werde.
Die ersten Wochen nach meiner Ankunft waren voller Erleichterung. Ich war froh in so einem
hochentwickelten Land angekommen zu sein und fasziniert von der Hilfsbereitschaft und
Freundlichkeit der ÖsterreicherInnen, die uns in vielerlei Hinsicht unterstützten.
Aber diese Phase hielt nicht lange an. Abgesehen vom Heimweh und dem schweren Rucksack
der Erlebnisse des Kriege und der Flucht, wird die Erfahrung fremd zu sein und die
Perspektivlosigkeit zu einer zunehmenden Bürde. Es war für mich klar, um wirklich
anzukommen, muss ich mich auf das Leben hier einlassen und Näheres kennenlernen.
Ich habe die Wohnung in Wien abgelehnt und bin in das Salzburger-Land eingezogen. Ich
habe die deutsche Sprache bis zum C1-Niveau studiert. Was dann passierte war, je mehr
ich mich mit ÖsterreicherInnen umgeben habe, desto stärker wurde das Gefühl des
Andersseins. Die fehlenden sozialen Codes und Beherrschung der Sprache wurden
immer mehr zur hemmenden Barriere. Oft erlebte ich, wenn ich etwas Kompliziertes
artikulieren wollte, dass die Worte in meinem Mund stockten und lange brauchte bis
ich die passenden Begriffe fand, und dann fällt dir jemand ins Wort und das
Gespräch geht weiter und ich fühlte mich sprachbehindert. Ab einem bestimmten
Zeitpunkt wurde mir deutlich, dass einen gleichwertigen Ersatz zu dem was ich an
Zugehörigkeit nach der Flucht verloren habe, zu finden, nicht möglich ist.
Im übertragenen Sinne könnte man sich die Sache mit den sozialen Codes wie ein
Kabel-Adapter vorstellen. Das Kabelende soll in den Anschluss des Gerätes
hineinpassen, aber man kommt oft mit einem ganz anderen Adapter, der sich nicht
anschließen lässt. Sprich, die Sozialisation in der Heimat hat einen nicht auf diese
Lebensstile und Lebenssituationen vorbereitet. Es fehlen gemeinsame Themen,
Interessen und Werte.
Problematisch bei diesem Anpassungsprozess ist das Gefühl der zunehmenden
Entfremdung. Ich habe mich langsam von altem, gewöhnlichem Leben und
Herkunftsmilieu distanziert, ohne irgendwo anzukommen und ohne unmittelbar eine
soziale Heimat zu finden. Diese Entfremdung und Veränderung werden mir klar,
wenn ich mit meiner Familie telefoniere oder mit Landsleuten unterwegs bin.
Es klingt bis jetzt sehr nach schmerzhafter und verwirrender Erfahrung. Aber diese Erfahrung
hat auch positive Aspekte. Ich habe durch diese intensive Auseinandersetzung mit mir und
meiner neuen Umgebung, mehr zu mir selbst gefunden und habe mich mehr kennengelernt.
Ich bin mehr als je zuvor im Einklang mit mir selbst und habe mittlerweile meinen
personalisierten Lebensstil. Ich habe das Privileg aus zwei verschiedenen „Kulturen“ zu
profitieren. Denn genau diese Unterschiede machen das Leben bunt und bereichernd.
Je mehr ich Menschen die anderes als ich sind kennenlerne, umso schärfer wird meinen Blick auf die Wirklichkeit.
In meinem Verständnis geht es letztendlich darum, dass wir miteinander und zusammen
leben, dass wir unsere Individualität und Vielfalt als Chance und Stärke sehen, voneinander
lernen und niemanden in seiner Freiheit einschränken oder Schaden zufügen.